Ob und wie Therapie wirkt


Der bekannte und mittlerweile verstorbene Psychotherapieforscher Prof. Klaus Grawe und sein Team werteten mehrere tausend Therapiestudien aus, um herauszufinden, ob und wie Psychotherapien wirken. Fakt ist, dass die Wirkung der Richtlinienpsychotherapien (analytische und tiefenpsychologische Ansätze, systemische Therapien und Verhaltenstherapie) sehr differenziert und ausführlich erforscht ist und in Bezug auf ihre Wirksamkeit kein Zweifel mehr besteht.

Faktoren, die zur positiven Wirkung einer Psychotherapie beitragen, wurden von Prof. Grawe in den folgenden 5 Kategorien zusammengefasst.

 

1. Therapeutische Beziehung

Die notwendige (aber nicht hinreichende!) Grundlage einer gelingenden Psychotherapie ist eine vertrauensvolle "therapeutische Beziehung". Dass Sie sich in der Gegenwart Ihrer Therapeutin verstanden und sicher fühlen, ist die Voraussetzung für alle Prozesse, die in einer Therapie stattfinden. 

 

2. Ressourcenaktivierung

Hier geht es darum, Ihre vorhandenen Fähigkeiten und Stärken zu finden, zu analysieren und  zielführend zu nutzen. Dies können z.B. ein scharfer Verstand, ein ausgeprägtes Körpergefühl, Fleiß, Kreativität,  Spiritualität, Lebenserfahrung oder Freunde und Familie  sein.

 

3. Problemaktualisierung

Dies bedeutet, dass das Problem innerhalb der Therapie nicht nur besprochen, analysiert und rational verstanden, sondern erlebt werden soll - im Hier und Jetzt, insbesondere im Kontakt / in der Beziehung mit / zu ihrem Therapeuten und in der Zeit zwischen den Therapiestunden. Aktualisierung bedeutet in diesem Zusammenhang also, eine (u.U. bewusst herbei geführte) Konfrontation / Wieder-Inszenierung der problematischen Situationen, Wahrnehmungen, Empfindungen und Verhaltensweisen, aber nicht um erneut in ihnen unterzugehen, sondern um sie stufenweise und mit Unterstützung verstehen und bewältigen zu lernen - und zwar "live, direkt und in Farbe", anstatt im Nachhinein und nur im Kopf. Im Rahmen der Therapie wird der Versuch unternommen, mit adäquaten Maßnahmen, die auf die jeweiligen Personen zugeschnitten sind, eine solche Aktualisierung zu bewirken.  

 

Ein typisches Beispiel ist die Konfrontation  bei Ängsten oder Zwängen. Oder das Erleben, dass Sie  typische Verhaltens- und Erlebensmuster unbewusst in der therapeutischen Beziehung wiederholen. Darüber hinaus gibt es beispielsweise Atemtechniken, musikalische Eindrücke, visuelle Reize, Körperübungen, die zu tieferen Schichten unseres Bewusstseins führen und uns mit unsren Themen konfrontieren.

4. Aktive Hilfe zur Problembewältigung

Wenn also, wie unter Punkt 3 geschildert, das Problem aktualisiert ist und Sie mitten im Geschehen Ihrer Muster stehen (Angst, Zwang, Sinnlosigkeit, Selbstverletzungsimpuls, zwischenmenschliche Konflikte ... ), werden Sie (diesmal als Zeuge) beobachten, was mit Ihnen geschieht und wir werden nun gemeinsam aktiv Wege zur Bewältigung suchen und erproben. Solche Wege können z.B. Entspannungsverfahren, Körper-,  Atem- und Bewegungsübungen,  Konfrontationsverfahren, Achtsamkeits- und Problemlösetrainings, Rollenspiele und Verhaltensexperimente sein.

 

5. Therapeutische Klärung

Hierbei geht es um ein zusammenhängendes Verständnis der Ursachen von Problemen und all der Faktoren, die dazu beitragen, dass sie sich hartnäckig halten können. Die Analyse aller bedingenden Faktoren führt zu einem individuellen bio-psycho-sozialen Arbeitsmodell, das den Ausgangspunkt der Therapie bildet und im Laufe der Therapie kontinuierlich weiter differenziert wird. Daraus leitet sich der methodische Teil der Therapie ab.  Betroffene erhalten ein  Verständnis für ihr Erleben, ihr (Nicht-)Fühlen, ihr Denken und ihr (Nicht-)Handeln. Sie erfahren über sich eine komplexe Geschichte. Vielleicht ist diese Geschichte nur eine Konstruktion? Vielleicht ist sie nah an der Wirklichkeit?  Menschen streben danach, die Bestandteile ihres Erlebens in einen logischen Zusammenhang zu bringen. Diese Klärung bereits, diese Geschichte also, wird als hilfreich erlebt.